Benozzo Gozzoli, Le triomphe de saint Thomas d'Aquin, 1471

dimanche 23 janvier 2011

Eine kleine metaphysische Hypothese für eine rechtmäßige Hermeneutik des II. Vaticanums

Ein Freund hat sich die Mühe gegeben, meinen Beitrag des 7. Januars zu übersetzen. Ich möchte ihm hier dafür ganz herzlich danken und veröffentliche seine deutsche Version.
Die Leser dieses Blogs, welche des Französischen mächtig sind haben vielleicht gesehen, dass ich eine erste Reflektion über die Metaphysik der Teilhabe und der Interpretation des 2. Vaticanums im Geiste veröffentlicht habe, die vom Heiligen Vater vorgeschlagen wird, der von einer „Hermeneutik der Kontinuität“ spricht. Ich möchte heute eine Hypothese wiederlegen, die im Grunde ganz einfach einen globalen Rückschritt des konziliaren corpus möchte.
Nun stelle ich zunächst zwei Thesen des Aquinaten vor, die anfänglich weit von ekklesiologischen Fragen entfernt zu sein scheinen und uns doch zu diesem Thema passen. Die erste finden wir in der Ia pars, Frage 108, die die Hierarchien der Engel systematisiert und dazu ein metaphysisches Kriterium der Hierarchie nutzt:

in rebus ordinatis tripliciter aliquid esse contingit, scilicet per proprietatem, per excessum, et per participationem.
·        Per proprietatem autem dicitur esse aliquid in re aliqua, quod adaequatur et proportionatur naturae ipsius.
·        Per excessum autem, quando illud quod attribuitur alicui, est minus quam res cui attribuitur, sed tamen convenit illi rei per quendam excessum; sicut dictum est de omnibus nominibus quae attribuuntur Deo.
·        Per participationem autem, quando illud quod attribuitur alicui, non plenarie invenitur in eo, sed deficienter, sicut sancti homines participative dicuntur die.[1]

Der andere Text stammt aus dem Super Librum De Causis und ist womöglich der Ursprung der vorhergegangenen Hierarchie der ontologischen Teilhabe.

tripliciter aliquid de aliquo dicitur:
·        uno modo causaliter, sicut calor de sole,
·        alio modo essentialiter sive naturaliter, sicut calor de igne,
·        tertio modo secundum quamdam posthabitionem, id est consecutionem sive participationem, quando scilicet aliquid non plene habetur sed posteriori modo et particulariter, sicut calor invenitur in corporibus elementatis non in ea plenitudine secundum quam est in igne.
Sic igitur illud quod est essentialiter in primo, est participative in secundo et tertio; quod autem est essentialiter in secundo, est in primo quidem causaliter et in ultimo participative; quod vero est in tertio essentialiter, est causaliter in primo et in secundo.[2]

Diese zwei Stellen können einfach auf die Intellektualität angewandt werden, die sich per proprietatem in den geschiedenen Substanzen (Engel) befindet, weil ihr eigenes Wirken im intelligere auf intuitive Weise besteht, ohne einen Diskurs. In Gott ist die Intellektualität per excessum, weil sie in ihm mit dem esse subsistens koinzidiert, was nicht einem begrenzten Wesen entspricht, sondern vollkommen die Unendlichkeit des Sein darstellt. Im Menschen existiert die Intellektualität aber nur per participationen, weil unser Erkennen durch die Fragmentation der Abstraktion hindurchgeht, nicht zuletzt auch durch die urteilende und argumentative Zusammenfügung.
Übertragen wir dies nun auf das Geheimnis der Kirche. Es scheint uns, dass diese dreifache Hierarchie, per eccessum, per proprietatem und per participationem, den Theologen dazu veranlasst dies auf das ekklesiologische Problem anzuwenden. Nun:

·        In Christus ist die Gnade, die die geschaffene Seele der Kirche darstellt per excessam präsent, wie a fortiori der Heilige Geist mit seiner umgeschaffenen Seele.[3] Alle Gnade, die im Leben der Kirche durch die Jahrhunderte präsent ist, stammt aus der Fülle der Gnade, gerade aus der menschlichen Seele des Herrn, der sie seinerseits von der Nähe seiner ontologischen Gottheit erhält.[4] In dieser „Hauptgnade“ befindet sich auf ausgezeichnetste Weise, der ganze übernatürliche Körper, den er durch den Heiligen Geist in der Kirche, durch die Jahrhunderte hindurch verströmt,  ganz besonders in der habituellen[5] Gnade und in den Sakramentalien.[6]
·        In der Ecclesia peregrinans selbst, ist er per proprietatem zugegen, der geistliche Organismus begründet sie. Sie erhält ihr Sein von Christus dem Mittler, wie das 2. Vatikanum es verkündet:

„Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst und trägt sie als solches unablässig; so gießt er durch sie Wahrheit und Gnade auf alle aus“.[7]

Gleichzeitig ist diesem „sichtbarem Körper“ eine besondere Konfiguration gegeben, die aus mehreren Elementen besteht und deren Einheit sozusagen das „Modul“ oder das Maß ist,  in welchem das Leben des Herrn durch seinen Geist vermittelt wird:

„Jene werden der Gemeinschaft der Kirche voll eingegliedert, die, im Besitze des Geistes Christi, ihre ganze Ordnung und alle in ihr eingerichteten Heilsmittel annehmen und in ihrem sichtbaren Verband mit Christus, der sie durch den Papst und die Bischöfe leitet, verbunden sind, und dies durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung und Gemeinschaft“.[8]

Hier wird also das Wesen, „die Essenz“ der Kirche auf Erden, verstanden, als die Form – jenes, welches die Form gibt – ohne die das übernatürliche Wesen welches vom Herrn geschenkt und vermittelt wird, nicht vollständig da ist.

·        aber diese Kirche, ohne jemals ihre Identität aufzugeben, hat sofort, im Laufe der Geschichte die Spaltung von Schismen und Häresien erlitten, Sünden, die nicht als ganze vererbt werden können – nur die Erbsünde wird weitergegeben -, die aber hinter sich Kirchen und christliche Gemeinschaften lassen, die mit verschiedenen Intensitäten und unterschiedlichen Weisen nur einen Teil der Instrumente der Heiligung behalten, die in ihrer Ganzheit nur in der katholischen Kirche präsent ist. Hinzu kommt, dass einige, ja sogar viele und bedeutende Elemente oder Güter, aus denen insgesamt die Kirche erbaut wird und ihr Leben gewinnt, auch außerhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche existieren können: das geschriebene Wort Gottes, das Leben der Gnade, Glaube, Hoffnung und Liebe und andere innere Gaben des Heiligen Geistes und sichtbare Elemente: all dieses, das von Christus ausgeht und zu ihm hinführt, gehört rechtens zu der einzigen Kirche Christi.[9]

Wie kann man also nicht sofort verstehen, dass diese Elemente „die von Christus stammen und zu ihm führen“ die Grundlage einer Teilhabe per participationem an der einzigen Kirche sind, die sie per proprietatem genießt? Hier liegt der Schlüssel, der es verständlich macht, dass die bekannte Formel subsistit einen authentischen dogmatischen Fortschritt darstellt:

„Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird“.[10]

Die Kongregation der Glaubenslehre hat am 29. Juni 2007 den Sinn dieser Aussage spezifiziert:

„In der dogmatischen Konstitution Lumen gentium 8 ist die Subsistenz (Verwirklichung) die ewiglich historische Kontinuität und die Permanenz aller Elemente, die von Christus in der katholischen Kirche konstituiert werden, in der sich die Kirche Christi konkret in dieser Welt befindet. Laut der katholischen Lehre ist in den Kirchen und den kirchlichen Gemeinschaften, die noch nicht in voller Gemeinschaft mit der Kirche sind dank der Heilselemente und der Wahrheiten, die in ihnen zugegen sind präsent und wirksam, das Wort „verwirklichen“ dagegen kann nur der katholischen Kirche zugemessen werden, weil es sich auf die Charakteristik der Einheit bezieht, die in den Symbolen des Glaubens (Glaube in die „eine“ Kirche) bezeugt wird; und diese Kirche „eine“ Kirche verwirklicht (subsistiert) sich in der katholischen Kirche.[11]

Der Begriff der „Subsistenz“ wirkt hier vorzüglich beschreibend, weil in ihm schon die „ewige historische Kontinuität“ enthalten ist und die „Permanenz“ der wesentlichen Elemente der von Christus gegründeten Kirche. Trotzdem werden diese zwei  Charakteristiken mit der Eigenschaft der „Einheit“ verknüpft, die bereits einen spekulativeren Wert hat, zumindest im Kern. Dies zwingt uns zu sagen, dass die Subsistenz, von der Lumen Gentium spricht auch als das verstanden wird, weshalb die Kirche Christi in sich das Sein hat und nicht in etwas anderem und sich somit an die thomistische Notion der Subsistenz anlehnt.[12] Denn nur die katholische Kirche enthält auf ganzheitliche Weise die definitorischen Charakteristiken der Kirche Christi und kann genau aus diesem Grund das ganze Sein erhalten, welches ihr zusteht. Dieses übernatürliche Sein subsistiert nicht in den Kirchen oder nicht katholischen Gemeinschaften, weil sie keine Objekte sind, die es in der Ganzheit empfangen können, d.h. in seiner Einheit.[13] Deshalb ist die Kirche Christi in wirklicher, realer aber fragmentarischer Weise existent und darum nicht eigentlich subsistent.

Unsere Hypothese, ist wie man sieht, wirklich sehr einfach und lässt sich in einem kleinen Bild zusammenfassen:






Die Kirche Christi
per excessum
In ihrem ungeschaffenen Vorbild
Heiligste Dreifaltigkeit
In ihrem geschaffenen Grund
Vollkommenheit der Gnade
in der Seele Christi
per proprietatem
In ihrer
eigenen Natur
Katholische Kirche
per participationem
In ihren nicht integralen Teilen
Kirchen und abgespaltene Gemeinschaften

Die Neuheit des 2. Vatikanischen Konzils wäre also die definitive Überwindung eines Begriffes von Kirche, das zu soziologisch ist, zugunsten einem viel organischereren Verständnis und trotz vieler „Hermeneutik der Diskontinuität“ auf allen Niveaus des kirchlichen Handelns, ist die Transzendenz dieses Mysteriums viel akkurater[14], weil es auf einer spezifischen Hierarchie der Partizipation beruht. Auf Grund des mysterium iniquitatis wurde diese sehr tiefe Interpretation durch zwei ideologische Reduktionismen angegriffen, die dialektisch zueinander stehen, dem „Progressisimus“ und dem „Integralismus“. Interessanterweise kennen beide keine Metaphysik der Partizipation, sei es auf ihrem philosophischen Niveau oder der ekklesiologischen Anwendung. Die erste Ideologie versucht die Kirche in der Immanenz eines kollektiven Bewusstseins zu verschlingen, die anonym christlich ist, und verneint die Vertikalität der Anteilnahme zugunsten einer Horizontalität des Teilens. Also unterscheidet sie nicht mehr zwischen dem Begriff Kirche proprio und der Gemeinschaft im hergeleiteten Sinne und versucht die Transzendenz mit den Maßstäben des Immanenten zu messen. Im Gegensatz dazu verneint der Integralismus, der in zwei Strömungen präsent ist, die sich von der vollen Gemeinschaft mit der Kirche abgewendet haben (Sedisvakantisten und Levebvrianer nach 1988), jede Konsistenz von dem, was wir per participationem der Kirche genannt haben und fallen auf ein sehr univoken Begriff der Mitgliedschaft in der Kirche zurück, den es gibt oder eben nicht gibt. Sie vergessen dabei vielleicht, dass das Wesen der Ecclesia peregrinans darin besteht, das Sein in seiner Ganzheit aufzunehmen, welches von ihrem Herrn kommt. Beide Strömungen vertreten eine „Hermeneutik der Diskontinuität“, auch wenn in entgegengesetzten Bereichen und tendieren dazu, das 2. Vatikanum vornehmlich als geschichtliches Ereignis zu sehen. Steht hinter dem Wirbel der Geschichte aber vielleicht das Wirken des Heiligen Geistes, der der Kirche erlaubt ihre eigene Natur besser zu verstehen?


[1] ST, q. 108, a. 5c.
[2] Super Librum De causis, lc. 12.
[3] Vgl. Scriptum super libros Sententiarum III, d. 13 q. 2 a. 2 ql.a 2c: «Spiritus Sanctus, qui est ultima perfectio et principalis totius corporis mystici, quasi anima in corpore naturali» ; Collatio in Symbolum Apostolorum, a. 9: «Ecclesia catholica est unum corpus, et habet diversa membra. Anima autem quae hoc corpus vivificat, est Spiritus Sanctus».
[4] Vgl. ST III, q. 7 a. 9-11 e 13.
[5] Vgl. ST III, q. 8 a. 1.
[6] Vgl. ST III, q. 22 a. 1 ad 1 e ad 3; q. 63 a. 3c.
[7] Lumen Gentium, 8.
[8] Lumen Gentium, 14.
[9]  In dieser einen und einzigen Kirche Gottes sind schon von den ersten Zeiten an Spaltungen entstanden (15), die der Apostel aufs schwerste tadelt und verurteilt (16); in den späteren Jahrhunderten aber sind ausgedehntere Verfeindungen entstanden, und es kam zur Trennung recht großer Gemeinschaften von der vollen Gemeinschaft der katholischen Kirche, oft nicht ohne Schuld der Menschen auf beiden Seiten. [...] Denn nur durch die katholische Kirche Christi, die das allgemeine Hilfsmittel des Heiles ist, kann man Zutritt zu der ganzen Fülle der Heilsmittel haben“ (Unitatis Redintegratio, 3).
[10] Lumen Gentium, 8.
[11] «Responsa ad quaestiones de aliquibus sententiis ad doctrinam de Ecclesia pertinentibus», in Acta Apostolicae Sedis 99 (2007), 604-608.
[12] Vgl. z.B. CG IV, c. 11 n. 13 (Marietti n. 3473): «[Deo] convenit enim ei non esse in aliquo, inquantum est subsistens».
[13] Wir denken also, dass der Begriff subsistit von LG 8 einer metaphysischen Hermeneutik dienlich ist, unter der Bedingung seine Analogizität zu begreifen. Wir teilen also nicht die Dialektik von B.-D. de La Sougeole, die er zwischen dem scholastischen Sinne (als ob alle Scholastiker das gleiche Verständnis des Wortes subsistit hätten) und dem gebräuchlichen Sinn von subsistit in „Vocabulaire et notions à Vatican II et dans le magistère postérieur», in Revue thomiste 110 (2010), 261-263.
[14] Wir lesen in Lumen Gentium 8: „Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“.

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